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Bauwende-Raddemo: Klimaschutz durch Umbau statt Abriss, beim Frankenschnellweg durch Ausbau-Verzicht

Die Bauwende ist maßgeblicher Teil des Klimaschutzes. Dabei resultieren in Deutschland ca. 40 Prozent der Treibhausgasemissionen aus dem Bau und Betrieb von Gebäuden sowie etwa 90 Prozent des Verbrauchs nicht nachwachsender Rohstoffe. Dies allgemein bewusst zu machen, war Anliegen der Architects 4 Future bei der letzten Klima-Fahrraddemo Cycling Rebellion.

02.05.2024

Das dringende Erfordernis einer Bauwende als maßgeblicher Teil des Klimaschutzes ist noch lange nicht allgemein präsent. Dabei verursachen der Bau und der Betrieb von Gebäuden in Deutschland und anderen Ländern des globalen Nordens ca. 40 Prozent der Treibhausgasemissionen und 55 Prozent des Müllaufkommens, 50 Prozent der produzierten Rohstoffe entfallen auf diesen Bereich. So erläuterten die Architects 4 Future als Partner der April-Fahrraddemo Cycling Rebellion ihre Motivation. Die Nürnberger Ortsgruppe stellte sich am Opernhaus den Anwesenden als noch „junge“ lokale Klimagruppe vor, die erst seit rund einem Jahr in Nürnberg aktiv ist und Bauherren über Nachhaltigkeit beim Bauen informieren sowie politisch zur Nachhaltigkeitsfrage im Bausektor Stellung nehmen möchte. Sie hatten gewaltige Bauwerke im Gepäck, die es anzusteuern galt.

Vor dem Hauptbahnhof lauschten neben den Teilnehmenden der gewohnt bunt gemischten Raddemo auch etliche Passanten dem Bericht zum abrissbedrohten ERGO-Hochhaus. Das schon länger leerstehende, nachkriegsmoderne Gebäude, dessen Einfachheit, Klarheit und Funktionalität an den Bauhaus-Stil erinnert, sollte zunächst umgebaut werden. Der Siegerentwurf aus einem Architektenwettbewerb wurde nicht weiter verfolgt, die Immobilie stattdessen verkauft. Anschließend wurde mit einer Wirtschaftlichkeitsstudie das Erfordernis eines Abrisses gegen städtischen Widerstand begründet – unter anderem mit zu wenig Platz in der Tiefgarage für heutige überdimensionierte Kraftfahrzeuge. Diese Begründung konnte niemanden überzeugen, sondern erschien wahrlich irre, ausgerechnet an diesem zentralen Standort direkt neben dem Nürnberger Hauptbahnhof, an dem vom ICE über RE und S-Bahnen, U-Bahn, Bus und Straßenbahn praktisch alle öffentlichen Verkehrsmittel einschließlich Taxis und VAG-Räder verfügbar sind!

Als Bürohaus 1965 errichtet und bisher von Versicherungen genutzt, sehen die Architects hier gute Möglichkeiten einer Umnutzung gegeben. Immerhin würden dadurch die Abbrucharbeiten, Baugrubenaushub und der Rohbau eingespart, worauf ungefähr 50 Prozent der Baukosten entfallen. Die Maßgaben und Kriterien der Wirtschaftlichkeitsberechnung und die Einbeziehung von Klimafolgekosten sind unbekannt. Allerdings wird vermutet, dass die für die Allgemeinheit durch den Abbruch entstehenden Schäden in Form von enormen Staub- und Abgasemissionen sowie erheblich größeren Verkehrsbehinderungen dabei nicht quantifiziert und berücksichtigt wurden.

Nach einer Umrundung des umzäunten „Südstadt-Schwimmbeckens“ stand die Versammlung dann am Aufseßplatz direkt neben dem großen Loch im Herzen der Südstadt, dem ehemaligen Kaufhaus Horten, zuletzt bis zur Schließung im Jahr 2012 eine Kaufhof-Filiale. Erstmals hatten die Gebrüder Schocken hier 1926 ein modernes Kaufhaus bauen lassen, an dessen Stelle nach Kriegszerstörung in den 50er Jahren ein Neubau errichtet wurde. Dieser erhielt 1963 seine prägnante und bis zuletzt vorhandene Waben-Verkleidung aus Faserbeton. Nach mehrjähriger Zwischennutzung war ab dem Immobilienerwerb durch Edeka im Frühjahr 2016 der Abriss des Gebäudes beschlossene Sache und es folgte ein jahrelanger Gebäude-Leerstand. Der mehr als eine Dekade dauernde Leerstand dieser Südstadt-Filetimmobilie zeigt auch, welch gravierende Folgen mangelnde Steuerung der Stadt- sowie der Gebäudeentwicklung hat. Das künftige „Schocken-Carré“ soll nun als siebengeschossiger Bau wesentlich größer werden als seine Vorgänger und eine Mischnutzung realisieren. Neben einem Supermarkt sind unter anderem eine Kita und Wohnungen vorgesehen, womit eine größere Dauerhaftigkeit und Resilienz gegenüber Marktveränderungen erwartbar ist.

Ein Gruppenfoto in der Königstraße am noch nicht abgerissenen Galeria-Kaufhof-Bau unterstrich die Forderung des Tages: „Umbau statt Abriss“. Der unter Denkmalschutz stehende viergeschossige Betonskelettbau datiert auf das Jahr 1950. Seine umlaufende Fassade aus Juramarmor und Glas zeigt die typische gerasterte und nüchterne Kaufhaus-Identität der Nachkriegs-Ära. Die solide Bauweise und eine die enorme Kubatur geschickt überspielende kleinteilig strukturierte, lichtdurchlässige Fassade verkörpert eine architektonische Neuorientierung beim Wiederaufbau völlig zerstörter Städte, unter anderem den Verzicht auf eher belastend Historisierendes und Zierrat. In Verbindung mit den hohen Geschossen bieten sich dadurch eine hervorragende Möglichkeit zur Entkernung und für einen Umbau entsprechend neuen Nutzungsanforderungen. 16.000 Quadratmeter Nutzfläche (etwa zweieinviertel Fußballfelder!) stehen hier zur Umnutzung bereit. Ein denkmalgerechter Umbau unter Erhalt wesentlicher Gebäudestrukturen und prägender Elemente wie beispielsweise dem sogenannten Flugdach anstelle eines Abrisses ist praktischer Klimaschutz. Hierdurch können 60.000 Tonnen Bauschutt vermieden werden. Und neben den dadurch obendrein ersparten enormen verkehrlichen Belastungen durch Baufahrzeuge würden auch nicht die Negativ-Effekte auf die engere Umgebung so gravierend sein, wie durch den Kaufhaus-Abbruch am Aufseßplatz erlebt. „Denkmalschutz ist Klimaschutz“, konnten die Architects 4 Future hier gut verständlich darlegen.

Am Frauentorgraben steht bereits der Ersatzneubau für das 2018 nach nur 47 Jahren Nutzungszeit abgebrochene, durchaus denkmalwürdige einstige zentrale Verwaltungsgebäude der AOK. Der Nachkriegsarchitekt Horst Fink hatte das Gebäude mit 14.000 Quadratmetern Büro- und weiteren 3.700 Quadratmetern Nebenflächen auf einer zweigeschossigen Tiefgarage mit 10.000 Quadratmetern Nutzfläche als Wettbewerbssieger geplant. Es war mit rund 135.000 Kubikmetern umbautem Raum eines der größten Gebäude der 70er Jahre in Nürnberg. Auch hier wurde mit dem Abriss eine enorme Menge an grauer Energie vernichtet und erscheint das Abrisserfordernis höchst fragwürdig. Gebäude bei veränderten Bedürfnissen einfach nach aktueller Mode ersetzen wie ein Kleidungsstück statt sie durch Änderungen anzupassen, ist nicht nachhaltig. Hier sind die Politik und die Immobilienwirtschaft dringend zum Umdenken aufgefordert, um die gesellschaftlichen und Klimafolgeschäden zu reduzieren.

Da auch Verkehrswege Teil des Bausektors sind, veranlasste Bettina Klose seitens des BUND Naturschutz als Mitorganisator ab dort eine Streckenänderung. Als Reaktion auf das Lockangebot von Markus Söder an die hiesige CSU und die SPD rollte die Fahrraddemo nicht wie geplant über die Fürther Straße, sondern den Frankenschnellweg in Richtung Westen. Damit wurde gegen die Intervention aus München protestiert und gegen das Transfer-Versprechen des Ministerpräsidenten Hunderter Millionen Euro Steuergeld, weil er scheinbar im Rentenalter noch seine heißersehnte „Frankenröhre“ einweihen möchte ...

Dass bei entsprechendem Willen auch grundsätzliche Nutzungsänderungen möglich sind, wurde zum Schluss am Beispiel des ehemaligen Quelle-Versandzentrums an der Fürther Straße aufgezeigt. Seit der Insolvenz von Europas größtem Versandhaus und einstigem Symbol des Wirtschaftswunders im Jahr 2010 befindet sich hier mit 250.000 Quadratmetern Nutzfläche der zweitgrößte Immobilienleerstand Deutschlands – nach den Flughafenhallen am Tempelhofer Feld in Berlin. Geplant hatte den von 1953 bis 1969 in mehreren Abschnitten errichteten Gebäudekomplex der Architekt Ernst Neufert, Verfasser der bis heute in Architekturkreisen bekannten Bauentwurfslehre. Auch hier wurde teils von hochrangigen Politikern wie dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder der Gebäudeabriss gefordert. Die Stadt jedoch war willens, den Gebäudekomplex zu erhalten, und hat mithilfe einer Machbarkeitsstudie entsprechende Konzepte entwickelt. Wesentlich für das seit 2021 in Entstehung befindliche Projekt „THE Q“ war die verbindliche Zusage der Stadt, rund 42.000 Quadratmeter Nutzfläche für ein Behördenzentrum anzumieten. Somit gibt es für zwei der fünf Baufelder verlässlich Planungssicherheit und zudem wird durch die öffentliche Nutzung sowie Begehbarkeit der Erdgeschosszone und das Quelle Forum ein Teil des Denkmals für die breite Öffentlichkeit zugänglich und erlebbar. Denkmal-Erhalt durch Umbau nützt hier gesellschaftlich der Identitätsbildung und dem Klima- und Ressourcenschutz. Ohne das Engagement der öffentlichen Hand wäre dieser nachhaltige Umgang mit dem Bauwerk wohl kaum realisiert worden. Rein privatwirtschaftlich steht eine Rendite-Optimierung solchen Modellen häufig im Wege.

Abschließend machten die Architects 4 Future klar, dass Klimaschutz auch im Bausektor radikale Änderungen braucht, dass langfristig gedacht und geplant werden, die Errichtung von Bauwerken künftig kreislauforientiert erfolgen und die Wiederverwendbarkeit der Strukturen und Materialien als Norm festgelegt werden muss. „Weil die Prozesse kompliziert und langwierig sind, müssen wir hier schnell neue Wege gehen und Veränderungen fordern. Die Bauwende muss JETZT erfolgen!“

Diese inhaltlich sehr anspruchsvolle und spannende Raddemo zur Bauwende endete mit dem gemeinsamen Appell von Vorstandsmitglied Bettina Klose und den Architects nach einer städtischen Umnutzungsinitiative zum Erhalt des Kaufhof-Baudenkmals in der Innenstadt.